Behinderung/Schwer­behinderung und Trans­sexualität

Am 21.05.2004 besprachen wir in unserer Gruppe das sehr kontrovers diskutierte Thema "Behinderung/Schwer­behinderung und TS".

Wie zu Beginn schon zu Bemerken war, gingen die Vorstellungen über die Begriffe

  • Nachteile durch gesellschaftliches Verhalten
  • Behinderung
  • Schwerbehinderung

sehr auseinander.

In jeder Gesellschaft schließen sich Menschen in Gruppen zusammen, die bestimmte persönliche Merkmale, Auffälligkeiten und Interessen haben. Diese Gruppen können natürlich unterschiedliche Größe erreichen. Will ein Mensch mit seinen Merkmalen und Auffälligkeiten in eine bestimmte Gruppe herein, und stimmen diese nicht mit denen der Gruppe überein, wird dem Menschen der Zugang nicht gewährt. Ebenso kann er aber Zugang erhalten, muss aber eventuell mit Nachteilen wie z.B. Leistungsschwäche, Hohn und Spott, und Außenseitertum rechnen.

Diese Nachteile und der Verstoß aus bestimmten Gruppen sind keine Behinderung, da dieser Mensch immer noch am sozialem Leben, in seinem Rahmen, teilnehmen kann.

Hier setzt die Vorgehensweise zur Feststellung einer Behinderung oder sogar Schwerbehinderung durch die Versorgungsämter ein.

Grundsätzlich gilt:
Zur Feststellung der Grades einer Behinderung (GdB) sind nicht die Funktionsbeeinträchtigungen (Krankheiten, Merkmale und Auffälligkeiten), sondern deren Auswirkungen ausschlaggebend. Das heißt, dass eine bestimmte Krankheit nicht automatisch einen bestimmten GdB zur Folge hat, also Transsexualität nicht automatisch mit 30% oder mehr "bewertet" wird.

Wie wir alle wissen, gibt es Transsexuelle, die mit ihren Problemen umgehen können und im Laufe der Zeit sozial fest integriert sind. Andererseits sind leider einige unter uns, die mit den Problemen derart überfordert sind, so dass sie sogar suizid gefährdet sein können.
Im ersten Fall kann niemand behaupten, dieser Mensch sei behindert, was im zweiten Fall wahrscheinlich sein kann.

Transsexuelle sind also nicht automatisch behindert. Ihr persönlicher Umgang und ihre Leistungsfähigkeit mit der TS-Thematik können aber zu einer Behinderung führen.

Wenn ein Mensch, TS oder nicht, einen Antrag auf Feststellung einer Behinderung stellt, sollte er sich genau überlegen, was er damit erreichen will.

Wird dieser Antrag beim Versorgungsamt unter Vorlage erforderlicher Gutachten (in bestimmten Fällen wird auch nach Aktenlage entschieden) eingereicht, kann man, bei einer positiven Bewertung, mit einem Bescheid (GdB kleiner 50%) oder der Anerkennung als Schwerbehinderte/r (GdB mindestens 50%) rechnen. Ausschlußkriterien sind Alterskrankheiten und Krankheiten, die innerhalb von 6 Monaten heilen.

Vorteile der Anerkennung

Welche Vorteile hat die Anerkennung als Bedinderte/r oder Schwerbehinderte/r?

Bei Anerkennung eines GdB kleiner 50% kann der/die Behinderte unter bestimmten Voraussetzungen (eingeschränkte, körperliche Bewegungsfähigkeit, Rentenbezug, Vorliegen einer Berufskrankheit) bestimmte Pauschalbeträge zwischen etwa 300-570 EUR steuerlich geltend machen.

Ab einem GdB von mindestens 50% gelten diese steuerlichen Vergünstigungen ebenfalls, gehen aber bis zu 3700 EUR, je nach zusätzlichen Merkmalen (z.B. BL-Blind, H-Hilflos). Weiterhin können, entsprechend dieser Merkmale, Nachteilsausgleiche in Anspruch genommen werden (z.B. KFZ-Steuerbefreiung, Wohnbaugeld, Parkausweis, usw.).

In erster Linie soll die Anerkennung als Schwerbehinderte/r aber Sonderrechte einräumen, die die Changen im Arbeitsleben erhöhen sollen.
Dazu gehören:

  • erweiterter Kündigungsschutz
    (Zustimmung zur Kündigung durch das Integrationsamt erforderlich)
  • 5 Tage Sonderurlaub
  • Befreiung von Mehrarbeit
  • Rente ab 60

Die Einstellung von Schwerbehinderte soll auch dadurch erreicht werden, dass in Betrieben ab einer Größe von 60 Mitarbeitern mindestens 6% Schwerbehindertenstellen (bevorzugt für behinderte Frauen) geschaffen werden müssen. Je nach wirklicher Beschäftigungsquote, müssen die Betriebe monatlich bis zu 280 EUR an das Integrationsamt zahlen. Für Betriebe mit einer Mitarbeiteranzahl bis 59 gelten Sonderregelungen, Kleinstbetriebe (bis 19 Mitarbeiter) sind von dieser Regelung ausgeschlossen. Mit den eingenommenen Geldern unterstützt das Integrationsamt Betriebe bei der Einstellung von Schwerbehinderten z.B bei barrierefreien Umbaumaßnahmen.

Eine Möglichkeit zur Erlangung des erweiterten Kündigungsschutzes bei einem GdB kleiner 50% ist die Gleichstellung. Diese kann man beim zuständigen Arbeitsamt beantragen, wenn z.B die Gefahr einer Kündigung besteht. Wird dem Antrag stattgegeben, wird die betroffene Person mit einem GdB von 50%, also einer Schwerbehinderung, gleichgestellt, ohne aber Anspruch auf die weiteren Vorteile zu haben.

Nachteile der Anerkennung

Welche Nachteile hat die Anerkennung als Schwerbehinderte/r?

Ab eines GdB von 50% darf dies bei einer Einstellung nicht verschwiegen werden (Grund zur fristlosen Kündigung). (s.u.)

Wie man in der Presse immer wieder lesen kann, ruft die Wirtschaft nach gelockerten Kündigungsschutzgesetzen. Der zusätzliche Kündigungsschutz ist also erst vorteilhaft, wenn man bereits einen Arbeitsplatz hat.

Auch die Ausgleichsabgabe der Betriebe ist selten ein Grund zur Einstellung eines Schwerbehinderten. Viele Betriebe zahlen lieber diese Abgabe, als sich mit dem erweiterten Kündigungsschutz und eventuellen Leistungsschwächen oder der Unbeständigkeit eines solchen Mitarbeiters zu belasten.

Weiterhin darf man auch nicht vergessen, dass man sich durch einen Schwerbehindertenausweis abgestempelt und ausgegrenzt fühlen kann.

Ist man einmal als Schwerbehinderte/r anerkannt, kann man, wenn die Nachteile doch zu schwer wiegen, nicht einfach hingehen und den Schwerbehindertenausweis wieder zurückgeben.

Anmerkung: Mit der Verabschiedung des Allgemeinen Gleich­behandlungs­gesetzes (AGG) am 14.08.2006 darf eine Schwer­behinderung bei einer Einstellung verschwiegen werden, wenn das Ausführen der geforderten Arbeiten möglich ist (der Arbeitgeber darf nach Beeinträch­tigungen fragen, die im Zusammenhang mit der angestrebten Tätigkeit stehen, nicht aber nach einer Behinderung/Schwer­behinderung).

Fazit

Bei vielen Menschen liegt deren Meßlatte ihrer Leistungsgrenze weit oben, bei vielen leider weiter unten. Die Aussage einer Besucherin lautete treffend: "Wenn alle, die Probleme in gesellschaftlichen Gruppen haben, behindert wären, gäbe es so viele Behinderte, so dass sich dieses System selbst in Frage stellt."

Ob ein/e Transsexuelle/r einen Antrag auf Behinderung oder sogar Schwerbehinderung stellt, ist ganz allein diesem Menschen überlassen. Aber: TRANSSEXUALISMUS IST NICHT AUTOMATISCH EINE BEHINDERUNG! Er gibt viele von uns, die sich nicht behindert fühlen. Wir sind auf der Suche nach einer Normalität in unserem Leben, die wir nicht durch einen Schwerbehindertenausweis erreichen. Bezogen auf unseren Arbeitsplatz heißt das auch, dass auch Arbeitsverhältnisse auf Gegenseitigkeit beruhen. So kann doch auf dieser Basis versucht werden, eine verträgliche Lösung zu finden.

Auch mag es vorkommen, dass ein Passing eine Weiterbeschäftigung, z.B. im Vertrieb, finanziellen Schaden für den Arbeitgeber bedeuten kann. Bestimmte Berufe sind uns vielleicht versperrt, was aber anderen Menschen auch passieren kann.

Es gibt sicherlich manche unter uns, die solche schweren psychischen Probleme haben, dass eine Anerkennung der Schwerbehinderung angemessen ist. Andererseits ist es aber sehr bedenklich für das Ansehen von Transsexualismus, wenn, im Fall von TS ohne massive psychische Probleme, immer sofort versucht werden würde, eine Schwerbehindertenanerkennung zu beantragen oder sogar einzuklagen. Das wäre ein Schlag ins Gesicht eines jeden wirklich Behinderten und eine Ausnutzung des sozialen Systems.

Bitte überlegt euch also genau, ob ihr euch und auch anderen Betroffenen mit einer Antragstellung wirklich etwas gutes tut.