Muss die geschlechtsangleichende Operation wirklich sein? Gründe, die dagegen sprechen
Am 16.3.2012 wurde das Thema ins Programm aufgenommen, weil die Moderatorin zunehmend eine Tendenz feststellte, die geschlechtsangleichende OP als selbstverständlich anzusehen.
Es gibt viele transidente Frauen, die nach ihrer OP ein erfülltes weibliches Leben führen. Es gibt aber auch einige, die sich nicht wieder operieren lassen würden, wenn sie noch einmal die Wahl hätten; sei es weil die OP misslungen ist oder weil sich ihr Leben nicht so verändert hat, wie sie es sich vorgestellt haben. Und einige bereuen diesen Schritt zutiefst. Erst nach der OP wurden ihnen die Risiken und Veränderungen bewusst, auf die sie sich eingelassen hatten. Ca. 1 bis 2% würden sich nach der OP gerne wieder zurück operieren lassen - wenn es ginge. Einige leben irgendwann wieder im Geburtsgeschlecht - trotz GA-OP.
Das Ziel des Abends war, über die Risiken der GA-OP zu diskutieren und so diejenigen aufzuklären, die sich zu leichtfertig in eine solche OP begeben könnten. Der Sinn des Abends bestand nicht darin, die OP zu verteufeln. Statt dessen sollte er eventuelle OP-Kandidaten in die Lage versetzen, die Risiken einer GA-OP besser einzuschätzen.
Die Diskussion wurde teilweise sehr emotional geführt - insbesondere von denen, die die OP hinter sich haben.
Üblicherweise sprechen Betroffene ungern über Fehler bei ihrer OP, seien es eigene oder die der Chirurgen. Sie empfinden es oft als persönliche Niederlage, wenn sich ihre Wünsche nicht wie gewollt erfüllt haben. Eva, die TXKöln bereits seit vielen Jahren begleitet, hatte im Laufe der Jahre Kontakt mit vielen Betroffnen, solche die zufrieden waren, aber auch viele, die nicht zufrieden und glücklich wurden.
Leider besuchen letztere irgendwann die Gruppe nicht mehr. Deswegen sollte der Abend stellvertretend für sie deren Erfahrungen weiter geben.
Jüngstes Beispiel eines unerwünschten Risikos: Einer Betroffenen wurden die als gesundheitsschädlich eingestuften Brustimplantate von PIP eingesetzt. Sie müssen nun wieder entfernt werden. Jetzt mag jemand sagen: "Ja, das konnte man doch vorher nicht wissen!" Aber genau darin liegt das Problem: Man weiß es nie vorher. Deswegen sollte man sich genau überlegen, ob man bereit ist, jede Art von Preis zu bezahlen.
Gegengeschlechtliche Hormone entfalten ihre Wirkung langsam, indem sie den Körper veranlassen, die geschlechtstypischen Attribute selbst zu erzeugen, sozusagen nachzuholen. Deswegen hinterlässt eine kurzfristige Hormoneinnahme in den seltensten Fällen bleibende "Schäden", wobei als Schaden das bezeichnet wird, was man sich nicht wünscht.
Eine OP hingegen ist nicht reversibel. Weg ist weg!
Aber der Reihe nach:
Wir unterschieden folgende vier Risikoaspekte:
1. Medizinische Aspekte
1.1 Es gibt typische allgemeine Krankenhausrisiken:
Die Aussage"Er ist an einer Infektion gestorben" wurde früher nicht hinterfragt, sondern eher als OP-Risiko akzeptiert und damit als unabwendbar dargestellt.
Es zeigt sich aber immer mehr, dass eine mangelnde Hygiene in den Krankenhäusern für die Infektionen verantwortlich ist.
Auch wenn man nicht stirbt, kann eine Infektion langwierige Heilungsprobleme verursachen, bis hin zur Amputation der befallenen Gliedmaßen. Beispiel: MRSA
(↗ Link 1,
↗ Link 2).
Also schon die Frage, ob man sich freiwillig in ein Krankenhaus begeben möchte, sollte ein Aspekt der Entscheidungsfindung sein.
1.2 Eine Betroffene wurde während der mehrstündigen OP aus Nachlässigkeit falsch gelagert. Resümee: nur mit Not entkam sie der Amputation eines Beins, dessen Durchblutung während der OP zum Stillstand gekommen war. Nur durch eine über Monate währende Rehabilitation konnte das Bein gerettet werden.
1.3 Eine weitere Betroffene klagte monatelang über Phantomschmerzen in dem nicht mehr vorhanden Penis.
1.4 Eine andere Betroffene berichtet über Schmerzen nach der OP, die Monate anhielten und nur mit starken Schmerzmedikamenten bekämpft werden konnten. Ihr wurde nahe gelegt, sich psychotherapeutisch behandeln zu lassen, weil keine organische Ursache gefunden werden konnte.
1.5 Je älter man ist, desto geringer ist die Wundheilungsfähigkeit des Körpers. Es steigt das Risiko, dass verpflanzte Hautpartien vom Körper nicht angenommen werden und absterben.
1.6 Eine mehrstündige OP ist ein schwerer Eingriff in den Körper, der seine Spuren in einer Schwächung des Immunsystems hinterlässt. Es kann sein, dass Schwachpunkte, mit denen der Körper in Vergangenheit einigermaßen fertig wurde, nach der OP ausbrechen. Eine Betroffene verstarb einige Monate nach der OP an Krebs. Natürlich kann niemand behaupten, die OP sei Schuld am Krankheitsverlauf nach der OP. Auf jeden Fall sollte man nicht durch eine Krankheit geschwächt in eine OP gehen.
1.7 Während der OP kann es zur Verletzung innerer Organe kommen. ↗ Fisteln am Darm sind keine Seltenheit und verursachen lang anhaltende Probleme und Schmerzen und erfordern oft weitere OPs.
1.8 Ist der Operateur nicht sehr erfahren, kann er nicht genau abschätzen, wie sich der Heilungs- und Abschwellungsprozess entwickeln wird. So berichtet eine Betroffene, die in Köln operiert wurde, dass ihr Urinstrahl in alle Richtungen ging - nur nicht in die Richtung wie es bei einer "biologischen Frau" üblich ist. Erst eine Korrektur - OP in einer anderen Klinik beseitigte dieses Problem.
1.9 Die neue Vagina ist im Prinzip eine Wunde, die der Körper schließen möchte. Diese "Wunde" muss deswegen über lange Zeit durch manuelle Maßnahmen offen gehalten werden. Wendet man dies nicht regelmäßig an, verkürzt sie sich und wird enger - bis hin zur fast gänzlichen Rückbildung. Somit taucht in einem solchen Fall die Frage nach dem Sinn der OP auf.
2. Psychische Aspekte
Wenn man in der Gruppe fragt, wie sich Betroffene ihren Weg vorstellen, hört man manchmal typisch männliche Argumente wie:
- "Ich mach nur Nägel mit Köpfe"
- "Wenn schon, dann richtig"
Wer bei sich solches SchwarzWeiß-Denken zulässt, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nur ""total glücklich" oder "total unglücklich" werden - wobei ich letzteres als wahrscheinlicher halte.
"Ich möchte auch mal enge Hosen anziehen können!"
Dieses Argument ist eine "einschneidende" Verbeugung vor dem Diktat der Mode.
"In dem Krankenhaus haben sie gerade einen Termin frei!"
Man sollte die OP nicht wie einen Termin zum Reifenwechsel betrachten. Eine Entscheidung, die lebenslange Folgen hat, sollte sehr gründlich recherchiert und vorbereitet werden. Für den Chirug ist die OP nach einem Tag vorbei, für die Patientin nicht.
Die Medien reduzieren eine Frau oft auf ihr Geschlechtsteil, z.B. wenn sie Sätze verbreiten wie: "Im Operationssaal wurde sie zur Frau".
Wer tatsächlich glaubt, die OP würde "ihn" zu "ihr" machen, wird sich sehr wundern. Denn die Umwelt wird nach der OP nicht anders mit ihr/ihm umgehen als vor der OP. Wer meint, eine GA-OP würde eine weibliche Stimme, eine 50 kg - Figur, eine weibliche Körpersprache und weitere typisch weibliche Verhaltensweisen gratis mitliefern, wird enttäuscht sein. Es tut sich nicht plötzlich ein großes Tor zu einem besseren sozialen Leben auf.
Resümee: Vor einer OP sollten weit wichtigere Aspekte bearbeitet werden. Erst wer einen Teil der weiblichen Sozialisation nachgeholt hat; wer gelernt hat, was es bedeutet, ein weibliches Leben im Beruf zu führen und mit den typischen Diskriminierungen umgehen kann, sollte überlegen, ob eine OP mit allen ihren Risiken für sie sinnvoll ist.
3. Soziale Aspekte
Unsere westliche, durch die USA beeinflusste Kultur versucht uns glauben zu machen, dass wir alle das perfekte Aussehen erreichen müssen, um erfolgreich zu sein. In den USA z.B.
schenken Eltern ihren 16jährigen Töchtern zum Geburtstag schon mal eine Brustvergrößerung. Wenn es bei uns auch noch nicht so extrem sein sollte, der Trend geht auch bei uns in diese Richtung - beeinflusst durch
die Medien und die Möglichkeiten. Es ist aber nachgewiesen, dass solche "Glücksfaktoren" nicht nachhaltig sind.
Besser ist es, sich mit seinen kleinen Unvollkommenheiten zu arrangieren, so wie es die meisten Frauen dieser Welt müssen und auch schaffen. Jemand, der nach Perfektion strebt,
wird erfahrungsgemäß nie mit sich zufrieden sein. Denn sobald ein Mangel behoben ist, gelangt bereits der nächste in den Fokus.
Viele von uns kennen den Effekt: Unsere Psyche ist in der Zeit des Leidensdrucks mit einer gespannten Feder vergleichbar: Sobald sie losgelassen wird, schwingt sie übertrieben in die entgegengesetzte Richtung. Erst im Laufe der Zeit schwingt sie sich in einen mittleren ausgeglichenen Bereich ein. Übertragen bedeutet das: Nachdem wir unser inneres Coming Out hatten, übertreiben wir oft den Wunsch nach Weiblichkeit. Erst nach einiger Zeit erreichen wir einen ausgeglichenen Zustand, der uns richtige und wohl überlegte Entscheidungen treffen lässt. Wer im Zustand der Übertreibung seine OP plant und durchführen lässt, bereut sie eventuell, sobald er sich dem Zustand der Ausgeglichenheit nähert.
Die Erfahrung zeigt, dass viele Betroffene nach Jahren der Gewöhnung zugeben, dass sie sich ein zweites Mal nicht für die OP entscheiden würden, denn
- die OP-Strapazen waren das Ergebnis nicht wert;
- die Hoffnungen, die sie mit der OP verbunden haben, haben sich nicht erfüllt;
- sie sind trotz OP sozial nicht dort angekommen, wo sie hin wollten;
- unsere Kultur akzeptiert zunehmend auch Besonderheiten;
- auch ohne OP kann man sozial problemlos als Frau leben;
- das Geschlecht befindet sich nicht zwischen den Beinen, sondern im Kopf.
4. Sexuelle Aspekte
Last not least wünschen sich manche Betroffene die weibliche Sexualität mit ihren "unendlichen Orgasmen".
Leider gibt es auch hier erhebliche Risiken. Betroffene berichten folgendes:
Nach der OP war alles tot und blieb tot: keine Sexualität und keine Orgasmen.
Viele mit männlicher Genetik kennen den typisch männlichen Drang nach sexueller Entlastung. Er steigert sich und ist mit dem Samenerguss auf dem Höhepunkt. Eine enttäuschte Betroffene berichtet nach ihrer OP, dieses Gefühl des Staus habe sie nach wie vor - jedoch jetzt keine Möglichkeit der Entlastung mehr. Resultat: endlose Frustration.
Wer meint sich operieren lassen zu müssen, um einen Partner zu finden, dem sei gesagt: Auch Frauen mit Penis werden geliebt. Allerdings meinen einige Transfrauen, sie möchten mit niemanden zusammen sein,
der jemanden wie sie liebt.
Sinngemäß sagte dies auch schon Groucho Marx: "Ich würde keinem Club angehören wollen, der mich als Mitglied aufnimmt."
Deswegen ist es besser, an seinem Selbstwertgefühl zu arbeiten, als irgendwelchen Klischees anzuhängen.
Zusammenfassung
Alles hat seinen Preis. Eine aus falschen Gründen zur falschen Zeit geplante OP bei einem unerfahrenen Operateur im falschen Krankenhaus kann sehr teuer bezahlt werden: im schlimmsten Fall mit lebenslanger Unzufriedenheit bis hin zu lebenslangen Gesundheitsproblemen.
Oder um es positiv auszudrücken:
Wenn du für dich eine GA-OP erwägst, stelle dir folgende Fragen:
- Bin ich sozial in der gewünschten Geschlechtsrolle angekommen, so dass ich die OP als das sehe, was sie ist: eine kosmetische Operation?
- Bin ich mir der gesundheitlichen Risiken bewusst? Kenne ich meine persönlichen gesundheitlichen Schwachpunkte?
- Kenne ich den Hygienestandard des Krankenhauses, dem ich mich anvertraue?
- Ist der Chrirug erfahren? Wieviele GA-OPs hat er/sie bereits durchgeführt? Nach welcher Methode wird operiert?
- Wie zufrieden sind bisherige Patienten?
- Und besonders: Bin ich bereit, über viele Wochen die notwendige Nachsorge durchzustehen, begleitet von Schmerz und Einschränkungen? (Siehe auch ↗ Sandras Weg)
Bei allem was du entscheidest, solltest du überlegen, ob und warum es langfristig deine Lebensqualität verbessert.
Weitere Links zum Thema:
Erschienen: auf ↗ TGInfo
(ta) s.eihpos) tginfo.de)