Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung (GKV)

Für die Inanspruchnahme von versicherungs­rechtlichen Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) ist immer das Vorliegen einer Krankheit notwendig. Das Problem hierbei war aber, dass es seit der Schaffung des Sozial­gesetz­buchs (siehe Gesund­heits­reformen) keine rechliche Definition des Krank­heits­begriffs mehr gab.

Durch das Fehlen der Definition des Krankheitsbegriffs, der in der RVO §182 noch enthalten war, musste dieser nun in der Rechtsprechung und in der Praxis interpretiert werden, was bei einer Entscheidungsfindung immer noch im Sinn dieses Paragraphen geschieht: "Krankheit ist ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand, der die Notwendigkeit einer ärztlichen Behandlung und zugleich oder ausschließlich eine Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat" (Inzwischen hat die Rechtsprechung den Krankheitsbegriff auch auf seelische Regelwidrigkeiten erweitert).

In seinem Urteil (3 RK 15/86) vom 06.08.87 hat das Bundessozialgericht (BSG) bereits entschieden, dass nicht jeder "vom Leitbild des gesunden Menschen abweichende Körper- oder Geisteszustand" bereits eine Krankheit sei, also auch nicht die Transsexualität. Eine Kostenübernahme für die geschlechtsangleichende Operation muss allerdings dann von den Krankenkassen übernommen werden, wenn durch die Transsexualität ein Leidensdruck entstehen, der so groß ist, dass er einen Krankheitswert hat.

In einem weiteren Urteil (1 RK 14/92) vom 10.02.93 geht das Bundessozialgericht näher darauf ein, wann Krankenkassen den Leidensdruck der Transsexualität als Krankheit anerkennen müssen. Dies ist der Fall, wenn

  • psychiatrische und psychotherapeutische Mittel das Spannungsverhältnis zwischen dem körperlichen Geschlecht und der seelischen Identifizierung mit dem anderen Geschlecht nicht lindern oder beseitigen können,
  • und dass eine Linderung durch eine operative Maßnahme wahrscheinlich ist.

Hierin liegt einer der Gründe, warum der Medizinische Dienste der Krankenversicherung (MDK) und die Krankenkassen eine Kostenübernahme der geschlechtsangleichenden Maßnahmen nicht befürworten, bzw. bewilligen, weil die Möglichkeiten und die Dauer einer Psychotherapeutischen Begleitung nicht ausgeschöft sind.

Der MDK richtet sich bei seinen Empfehlungen an die GKV nach den Behandlungsrichtlinien, die nicht nur die Maßnahmen, sondern auch einzuhaltende Zeiten vorgeben, ab der diese Maßnahmen befürwortet werden können.

Anmerkung: nehmt ihr nachfolgende Leistungen in Anspruch, fallen selbst zu tragende Kosten an - siehe Gesundheitsreformen (Zuzahlungen)

Kosten­übernahme
der psycho­therapeutischen Bgleitung

Die psychotherapeutische Begleitung ist für euch der erste wichtig Schritt zur Erlangung der Zustimmung zu geschlechts­angleichenden Maßnahmen, da hier die Diagnose "Trans­sexualismus F64.0" nach der International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems (ICD) gestellt wird, denn nur diese Diagnose kann eine Leistungs­pflicht der Kranken­versiche­rungen auslösen.

Diese psychotherapeutische Begleitung ist eine tiefenpsychologische Psychotherapie und damit ein Bestandteil des Leistungskataloges der gesetzlichen Krankenversicherung. Durch den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen wurde festgelegt, dass bei dieser Therapieform bis zu 100 Stunden als Kassenleistung anerkannt werden.

Bevor die eigentliche Therapie beginnt, finden zunächst bis zu fünf diagnostische Sitzungen statt, in denen abgekärt wird, ob

  • eine therapeutische Behandlung/Begleitung sinnvoll, notwendig und erfolgversprechend ist, und
  • sich eine gute, tragfähige und vertrauensvolle therapeutische Beziehung entwickelt.

Diese "Probestunden" können bei einem, oder fünf Therapeuten genommen werden, wofür eure Krankenversicherungskarte ausreicht.

Soll nach diesen fünf Sitzungen eine Therapie durch den Therapeuten bei eurer Krankenkasse beantragt werden, ist eine Bescheinigung eures Hausarztes über den körperlichen Befund notwendig (Konsiliarbericht), um körperliche Ursachen der Probleme auszuschließen.

Steht in eurem Umkreis kein kassenärztlich zugelassener Psychotherapeut zur Verfügung, kann auch, mit dieser Begründung, ein nicht zugelassener Therapeut genemigt werden.

Anmerkung: siehe auch Psychotherapie - Ein Überblick

Kosten­übernahme
der Hormon­behandlung

Grundsätzlich sind die Kosten der Hormonbehandlung von den gesetzlichen Krankenkassen zu tragen, wenn die Indikation zur Hormon­behandlung durch euren Psycho­therapeuten vorliegt, da damit die Diagnose "Transsexualismus F64.0" gesichert ist. Ein Antrag auf Kosten­übernahme zur Hormon­behandlung ist nicht notwendig.

Am 19.03.2002 fällte das Bundessozialgericht (BSG) ein Urteil (B1 KR 37/00 R) über die Kosten­übernahme von sog. Off-Label-Use Medikamenten, also Arzeneimitteln im Einsatz außerhalb ihrer zugelassenen Indikation. Da Hormon­präparate nicht zur Behandlung Trans­sexueller zugelassen sind, kann ein verschreibender Arzt demnach durch die Krankenkasse in Regress genommen werden, stellt er ein Vertragsrezept aus.

Allerdings hat das BSG auch festgelegt, dass unter besimmten Bedingungen eine Kosten­übernahme auch bei diesen Medikamenten zur erfolgen hat. Eine dieser Bedingungen ist, wenn zur Behandlung keine andere Therapie verfügbar, also kein anderes Arznei­mittel für die Indikation zugelassen ist.

Wenn euch euer Arzt bei einer Verschreibung fälschlicher Weise ein grünes Rezept (Privatrezept) überreicht, führt in dieser Situation leider kein Weg an einem Gespräch mit eurer Krankenkasse oder dem MDK vorbei, um diesen Sachverhalt zu klären.

Die Hormonbehandlung gehört bei der MzF-Trans­sexualität mit zu den geschlechts­anglei­chenden Maßnahmen, für die eine Alltagstest­dauer von mindestens 12 Monaten gefordert wird. Allerdings kann mit der Behandlung, bei entsprechender Begründung, bereits schon früher begonnen werden, um einen Alltagstest überhaupt erst zu ermöglichen.

Kosten­übernahme
der Epilation der Barthaare

Die Epilation durch Elektrokoagulation (Nadelepilation), als mittlerweile auch durch die Photo­thermolyse (Laserepilation), gehört bei der MzF-Transsexualität ebenfalls mit zu den geschlechts­anglei­chenden Maßnahmen, sollte also, bei entsprechender Indikation, von den Kassen genehmigt werden.

Genau wie bei der Hormonbehandlung wird nach den neuen Behandlungs­richtlinien, neben der Diagnose "Transsexualismus F64.0" durch euren Psychot­herapeuten, ebenfalls eine Alltags­testdauer von 12 Monaten gefordert. Auch hier kann aber, um den Alltagstest erst zu ermöglichen, mit der Epilation bereits schon früher begonnen werden. Eine bereits begonnene Hormonbehandlung ist nicht mehr notwendig.

Aus diesem Grund könnt und solltet ihr nach der Diagnose so schnell wie möglich einen begründeten Antrag zur Übernahme der Kosten für eine beginnende Laser- und weiter­führende Nadel­epilation (je nach euren Voraus­setzungen) bei der Krankenkasse stellen.

Schaltet die Krankenkasse den MDK ein und gibt dieser eine positive Empfehlung, kann die Krankenkasse immer noch Schwierigkeiten machen, in dem sie auf die Zulassungs­bestim­mungen für Heil­mittel­erbringer verweist, also auf eine Epilation durch einen Arzt, einen Dermatologen, besteht (↗ SGB V §124).

Tja, leider wird man weit und breit keinen Arzt finden, weshalb manche Krankenkassen die Kostenübernahme verweigern. Hierbei spricht das Landgericht NRW in seinem Urteil vom 8.5.2014 (↗ L 16 KR 453/12) von einem "Systemversagen", weshalb die Krankenkassen die Behandlung über ein Kosmetikstudio durch Elektrologisten bezahlen müssten (siehe auch Anmerkung) .

Die Übernahme der Laserepilation in die Behandlungs­richtlinien geht zurück auf den ↗ Beschluss der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV - sie und ihre Landesverbände vertreten die Interessen der Ärzte gegenüber den Krankenkassen) und den Krankenkassen vom 03.08.2017, durch den die Laserepilation durch Ärzte ab dem 01.10.2017 zur Kassenleistung wurde. Diese Leistung war zunächst auf zwei Jahre befristet. Abgerechnet werden können 8 Sitzungen pro Jahr á 20 Minuten für Gesicht und Hals, so wie Gleiches für die Hände (denkt daran, dass zwischen den Sitzungen mindestens 4 Wochen vergehen müssen, damit sich die Haut wieder regenerieren kann).

Was die Behandlungsdauer der Nadelepilation angeht: Der MDK und die Kassen setzen zur Behandlung eine Stundenzahl X, z.B. 180 Stunden fest. Da wir Menschen alle unterschiedlich sind, können Behandlungsdauern von 100 - 400 Stunden notwendig werden (z.B. auch abhängig von vorheriger Laserepilation). Die Behandlungsrichtlinien von 2009 sagten dazu:

"Eine sichere Vorhersage für die insgesamt erforderliche Anzahl der Epilations­stunden ist nicht möglich. Der Umfang der Epilation ist von zahlreichen Einzel­fall­faktoren (z.B. Intensität des Haar­wuchses) sowie anderen Gesichts­punkten (z.B. Geschick­lichkeit des Behandlers) abhängig".

Leider ist diese Aussage in den aktuellen Behandlungs­richtlinien nicht mehr enthalten. Deshalb solltet ihr bei eurer Krankenkasse und dem MDK auch die Fortführung der Behandlung ansprechen, sollte nach der vorgegeben Zeit das gewünschte Ergebnis nicht erreicht werden.

Anmerkung: Die o.g. Entscheidung zur Epilation auch durch Elektrologisten in Nordrhein-Westfalen wurde durch das Landessozialgericht NRW in Essen gefasst. Am 15.03.2016 hat das Sozialgericht in Berlin das "Systemversagen" und die Behandlung durch Elektro­logisten bestätigt (↗ S 51 KR 2136/13). Ebenfalls bestätigt wurde dieses Urteil durch das Sozial­gericht Hannover (↗ S 86 KR 384/18).
Am 17.03.2020 hat allerdings das Landes­sozial­gericht Niedersachsen-Bremen dieses Urteil gekippt (↗ SL 16 KR 462/19) und wurde durch das Urteil des Bundes­sozial­gerichts (↗ B 1 KR 4/20 R) vom 17.12.2020 bestätigt.
Das Systemversagen besteht also weiter und der Gesetzgeber ist weiterhin gefordert, eine bundes­einheitliche Regelung auch für nicht­ärztliche Leistungs­erbinger zu schaffen.

Kosten­übernahme
der operativen Maßnahmen

In diesem Fall werden die Krankenkassen immer den Medizinischen Dienst (MDK) zur Indikations­stellung zur geschlechts­angleichenden Operation (GA-OP) heranziehen.

Ist diese Indikation gestellt, gehören zu den zu bewilligenen operativen Maßnahmen

bei MzF-Transsexuellen

  • Operative Brustvergrößerung (Mammaaugmentation)
  • Angleichende Genitaloperation

bei FzM-Transsexuellen

  • Brustamputation (Mastektomie)
  • Angleichende Genitaloperation
    • Entfernung der Gebärmutter und der Eierstöcke (Hysterektomie,Ovarektomie)
    • Operativer Penoidaufbau oder Schaffung eines sogenannten Klitorispenoids

Die zeitliche Voraussetzung zur GA-OP ist ein Alltagstest von mindestens 12 Monaten. Für die Brust­vergrößerung bei MzF-Trans­sexuellen ist eine Hormon­behandlungs­dauer von mindestens einem Jahr notwendig.

Anmerkung: siehe auch ↗ Geschlechtsangleichende Operation (MzF / FZM)

Kosten­übernahme
der stimman­gleichenden Behandlung

Ein Antrag auf eine stimmangleichende Behandlung läuft zunächst über einen Hals-Nasen-Ohrenarzt, von dem ihr eine Bescheinigung mit der Diagnose "männliche Stimme bei Mann-zu-Frau Transsexualität" benötigt.

Hier habt ihr dann zwei Möglichkeiten:

  1. Inanspruchnahme von Logopädie, die, als Bestandteil der medizinischen Grundver­sorgung, von den Krankenkassenauf Verordnung zu tragen ist,
  2. oder eine Stimmbandoperation, die, nach dem Urteil des Sozialgerichts Bayreuth (S 6 KR 72/96) vom 27.02.1998, bei Mann-zu-Frau-Transsexualität, nach einer phoniatrischen Begutachtung übernommen werden muss.

Anmerkung: siehe auch Stimmbildung bei MzF-Transsexualität

Kosten­übernahme
für einen Haupthaarersatz

Nach den Behandlungsrichtlinien kann bei den Krankenkassen ebenfalls ein Antrag auf Kostenerstattung für ein Haupthaar­ersatz bei MzF-Trans­sexuellen gestellt werden.

"Eine Versorgung mit Haarersatz/Perücken kann bei Mann-zu-Frau-Transsexualismus nur in Betracht kommen, wenn aufgrund des ursprünglich männlichen Haarwuchses kein weibliches Erscheinungsbild erzielt werden kann. Unter Berücksichtigung des Gleichstellungsgebots kann hier eine Versorgung erfolgen, wie sie auch bei anderen Frauen mit erheblicher Alopezie möglich ist (↗ BSG, B 3 KR 66/01 R).

Anmerkung: siehe auch Haarausfall (Alopezie)